“Was genau wünschen Sie sich für den geplanten Teamworkshop? Was soll danach anders sein als vorher?”, frage ich wie gewohnt vor einem Workshop auch diese Kundin. Sie überlegt kurz und antwortet: “Ich wünsche mir wieder mehr WIR-Gefühl, dass wir uns alle wieder mehr als Team wahrnehmen. Und so auch wieder mehr Mitarbeiterbindung und Loyalität entstehen.” Ich nicke. Das höre ich in letzter Zeit so häufig. Sie ergänzt: “Ich habe jetzt mehrfach erlebt, dass Mitarbeiter*innen nach kurzer Zeit wieder gekündigt haben. Auf meine Nachfrage, was denn nicht in Ordnung gewesen sei bekomme ich dann meist als nüchterne Antwort: ‘Machen Sie sich bitte keine Gedanken. Es hat nichts mit Ihnen oder dem Unternehmen zu tun. Ich habe einfach etwas gefunden, das noch besser zu mir passt.’ Was soll man darauf sagen? Dieser Jobwechsel scheint so völlig emotionslos. Und das wundert mich nicht. Im Homeoffice entsteht keine Nähe. Man arbeitet einfach nur gemeinsam an Aufgaben. Dann ist es ja letztlich auch egal, für wen man vor der Kachel sitzt, oder?”
Dieses Gespräch mit meiner Kundin geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Sie ist mit diesem Thema nicht allein. Immer öfter höre ich auch von Kund*innen und Führungskräften in meinem Bekanntenkreis, dass die mühsam und teuer rekrutierten neuen Kolleg*innen viel zu schnell weiterziehen. Wie zünftige Gesellen auf Wanderschaft, wie Nomaden.
Warum ist das so und wie geht man als Führungskraft damit um?
Mitarbeiterbindung in meiner Generation
Ich gehöre zur Generation X und bin mit einer Vorstellung von “Arbeitsplatz” aufgewachsen, in der Leistungserbringung, Selbstverwirklichung, Sicherheit, aber auch Gemeinschaft eine große Rolle spielten. Peter Tavolato schreibt zu dieser Generation in seinem Buch „Aktives Generationen-Management“ u.a.: „Die Mitglieder dieser Generation zeigen gerne Leistung, wollen aber auch etwas dafür bekommen. […] Sie sind davon überzeugt, dass sie sich den eigenen Wohlstand sichern und noch viel erreichen können, wenn sie sich nur anstrengen, …“
Als Berufseinsteiger war es damals für mich gar nicht so leicht, den passenden Job zu finden. Herkunft, tadelloser Lebenslauf, Noten, Vitamin B waren hilfreich. Und wenn es nach viel Klinkenputzen endlich mit dem Traumjob geklappt hatte, habe ich selbstverständlich meinen Wohnort in Richtung Arbeitsstelle verlagert und alles andere auf die neue Wirkstätte abgestimmt. Der Job hatte insgesamt einen sehr hohen Stellenwert im Leben. Er war und ist für viele meiner Generation weit mehr als nur Broterwerb. Als Teil der Lebensplanung gibt er Sicherheit und ist ein wichtiger sozialer Raum. Nicht wenige meiner Kolleg*innen gehören noch heute zu meinem engen Freundeskreis. Zeitweise verbrachte ich mit ihnen mehr Zeit als mit meiner Familie. Oft traf man Kolleg*innen sogar im gleichen Sportverein, bei Schul- oder Kindergartenveranstaltungen, in der Kirche oder beim Stadtteilfest nach der Arbeit wieder. Den Arbeitgeber zu wechseln, das wirkte sich entsprechend weit ins Privatleben hinein aus.
Bewusste Abgrenzung durch Trennung von Arbeit und Freizeit
An dieser Vorstellung von Arbeit hat sich bis in die Generation Z hinein einiges verändert.
Angesichts des Fachkräftemangels besteht in vielen Sparten ein Überangebot an Jobs. Ein stetig steigender Anteil potentieller Arbeitnehmer*innen entscheidet sich nach einer guten Ausbildung für eine Solo-Selbständigkeit oder die Gründung eines Startups. Die, die als Wissensmitarbeiter in ein Unternehmen gehen, wählen dieses häufig sorgfältig nach dem eigenen Lebensstil und -ort, nach Idealen und persönlichen Interessen aus. Die Arbeit soll Sinn stiften, die Unternehmenskultur muss gefallen. Auch Benefits und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielen bei der Wahl eine große Rolle. An einem Schreibtisch im Großraumbüro sitzen, das wollen die meisten wenn überhaupt noch maximal 1-2 Tage die Woche. Alles andere läuft selbstverständlich digital und im Homeoffice. Mehr Kontakt zu Kolleg*innen? Die meisten brauchen das Umfragen zufolge nicht.
In meinen Teamworkshops erlebe ich heute überwiegend Gruppen von Menschen, die sich rein als Kolleg*innen im Arbeitskontext kennen, manchmal bis zum Workshop noch nicht mal persönlich. Besonders bei den jüngeren Generationen fällt mir auf, wie wichtig eine Trennung von Arbeit und Freizeit ist. Vielleicht, denke ich manchmal, weil sie als Kinder der ersten Smartphone-Generation Entgrenzung von Arbeit schmerzlich erlebt haben. Weil sie mit ihren tiefen Bedürfnissen nach Aufmerksamkeit immer im Wettbewerb standen zur ständigen “Ich-muss-noch-kurz-die-Welt-retten-Erreichbarkeit” ihrer Eltern. Und weil sie genau das für sich und ihre Kinder nicht so möchten. Sie grenzen sich viel stärker ab und sind zu deutlich weniger Kompromissen bereit. Wer kann es ihnen verdenken?
Arbeit als Sozialraum verliert an Bedeutung
Wir Menschen sind soziale Wesen und haben ein unverändert großes Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Wir sind gern Teil einer Gemeinschaft, vor allem, wenn wir darin sozial akzeptiert sind, sie als unterstützend wahrnehmen und das Gefühl haben, für die Gruppe wichtig zu sein. Erst im Zusammenspiel mit anderen erleben wir uns, können uns verorten und als Teil des großen Ganzen unsere Identität finden. Wir suchen permanent nach emotionaler Verbundenheit, weil sie einen erheblichen Einfluss auf unsere geistige und körperliche Gesundheit hat und weil wir den Schmerz vermeiden wollen, den Einsamkeit in uns verursacht.
Unsere menschlichen Bedürfnisse haben sich also nicht grundlegend verändert. Nur die Orte, an denen sie gestillt werden, sind womöglich andere geworden. Schauen wir z.B. auf die sozialen Medien. Hier können wir jederzeit und von überall aus mit Gleichgesinnten in Kontakt treten. Durch unsere Likes und Kommentare zeigen wir uns als Teil einer Gemeinschaft, fühlen uns zugehörig und teilen – wenn auch nur in der eigenen Blase – Meinungen, Werte und Interessen. So gehören wir dazu, fühlen uns mit der Welt verbunden. Auch Online-Games, Videoplattformen und Online-Foren zielen mit ihren Communities und Chatfunktionen darauf ab, unseren Wunsch nach Austausch und WIR-Gefühl zu befriedigen. Wie gut das dauerhaft wirklich funktioniert ist ein anderes Thema.
Arbeit als Sozialraum jedenfalls spielt m.E. zunehmend eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Anders als für meine Generation ist sie für die meisten 20-30jährigen längst nicht mehr der Ort, von dem man sich spannende Begegnungen, Freundschaften, tragfähige Beziehungen verspricht.
Unabhängigkeit statt Mitarbeiterbindung
Hinzu kommt m.E., dass sich die Definition und das Bedürfnis nach einem sicheren, langfristigen Arbeitsplatz ebenfalls verändert hat. Während es in meiner Generation noch viele Menschen gibt, die seit 30 Jahren durch das gleiche „Werkstor“ gehen, sind heute 5 Jahre im gleichen Job schon eine lange Zeit. Sich beruflich mehrmals komplett neu zu orientieren ist normal geworden. Wir haben eben akzeptiert, dass wir in volatilen Zeiten leben und passen uns an.
Das Interessante ist: dadurch machen sich die neuen Generationen ein Stück unabhängiger vom Job, emanzipieren sich vor allem von Unternehmen und Führungskräften mit verkrusteten Strukturen und veralteten Vorstellungen von Zusammenarbeit. Wenn es ihnen woanders besser gefällt, ziehen sie einfach weiter. Nicht selten passiert das schon nach den ersten Arbeitstagen, manchmal sogar schon vor Arbeitsantritt. Und dann steht man da als Führungskraft – mit einer Mischung aus Frustration, Ärger, Unverständnis und … vielleicht auch ein bisschen Bewunderung oder Neid 🙂
Ent-täuschung vorprogrammiert
Bei Liebeskummer seines Sohnes pflegte mein Schwiegervater immer zu sagen: “Du kannst nur das halten, was Du jederzeit loslassen kannst.” Wenn Zusammenarbeit auf Augenhöhe geschieht, trifft das, wie ich finde, auch auf die Beziehung zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden zu. Die Zeiten, in denen mit Jobverlust gedroht, ausgebeutet und Druck ausgeübt werden konnte, sind Gott sei Dank in vielen Organisationen (natürlich leider längst noch nicht in allen) vorbei. Der Weg für Freiwilligkeit, ernst gemeinte Spielräume für Mitgestaltung, ein echtes Geben und Nehmen in beide Richtungen … wäre frei.
Stattdessen habe ich den Eindruck, als hätte sich die Abhängigkeit umgekehrt. Die Budgets für Mitarbeitergewinnung und -bindung erreichen nie dagewesene Ausmaße, über die sich vor allem ein wachsender Markt an Headhuntern und Personalberatern freut. Viele Unternehmen verhalten sich unter dem Druck des “War of Talents” schon fast anbiedernd, verzweifelt, unterwürfig. Mit endlosen Listen von Benefits, unrealistischen Jobbeschreibungen und horrenden Gehältern stecken sich die Unternehmen immer hübschere Federn an. In Bezug auf das, was Mitarbeiter*innen wirklich wollen, macht sie das aber aus meiner Sicht nicht wirklich attraktiver. Denn irgendwie ist klar, dass die aus dem Boden gestampfte Maskerade meist spätestens bei Arbeitsantritt des Neulings in sich zusammenfällt. Vieles von dem was gesagt wird um in dem ohrenbetäubenden Marktgeschrei überhaupt gehört zu werden ist weit weg von der Realität in den Organisationen.
Wenn die Maske fällt ziehen Mitarbeiter*innen verständlicherweise weiter und der Frust ist groß – auf beiden Seiten. Kultur lässt sich eben nicht so schnell verändern wie eine Kommunikationsstrategie…
Was kann ich als Führungskraft für Mitarbeiterbindung in meinem Team tun?
Ein “Höher, schneller, weiter” bei den Benefits ist meiner Meinung nach also kein nachhaltiges Rezept für Mitarbeiterbindung!
- Viel wichtiger ist ein ehrliches, solides Fundament für Zusammenarbeit. Kooperation auf Augenhöhe heißt: sagen, was man tut – tun, was man sagt. Unternehmen und Führungskräfte sollten meiner Meinung nach alles dafür tun, die Erwartungen, die in Stellenanzeigen und in Gesprächen aufgebaut wurden, auch zu erfüllen. Und dabei ehrlich und aufrichtig sein. Ruhig auch mal negative Aspekte und Herausforderungen des Jobs ansprechen und Grenzen des Machbaren aufzeigen. Ein großer deutscher Versicherer hat in einem Testballon die Bewerberbroschüre für Außendienst-Jobs dahingehend angepasst, dass auch Nachteile, wie z.B. viele Reisen, auch mal am Wochenende arbeiten, Druck durch erfolgsabhängige Gehaltsbestandteile, direkt angesprochen wurden. Das Ergebnis: es gab nur unwesentlich weniger Bewerber*innen, aber einen deutlich geringeren Anteil an Kündigungen während der Probezeit. Mit offenen Karten spielen, auf beiden Seiten, sorgt für Vertrauen und Ebenbürtigkeit. Und jede*r weiß, woran er bzw. sie ist.
- Wichtig finde ich darüber hinaus, echtes Interesse aneinander zu zeigen. Zuhören und herausfinden, warum Menschen in genau meiner Firma arbeiten, was sie daran mögen und was nicht. Welche persönlichen Ziele und Zukunftspläne sie haben, was ihnen wirklich wichtig ist. So kann das Unternehmen ganz gezielt Entwicklungsräume schaffen und unterstützen.
- Eine starke Gemeinschaft sein, die sich gemeinsam für eine Sache einsetzt. Auch online kann ich meinen Teammitgliedern persönlich das Gefühl vermitteln, wichtig zu sein. Durch Dankbarkeit, Respekt, Wertschätzung. Jede*r ist ein wichtiger Teil des große Ganzen.
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Akzeptieren und vorsorgen, dass sich Wege auch wieder trennen können. D.h. Sorge tragen, dass Lücken, die dadurch entstehen, nicht zu groß werden. Das entlastet beide Seiten und man kann im Guten auseinander gehen.