Wie Du Deine Gefühle in der Teamentwicklung nutzen kannst

Von Susen Stanberger

Lange Zeit wurde der Glaubenssatz in uns geprägt, Emotionen haben im Business nichts zu suchen. Das hat sich glücklicherweise geändert. Hast Du gewusst, dass das eigene Gefühl eine der wichtigsten Informationsquellen von Führungskräften ist? Die hohe Geschwindigkeit und Komplexität der Themen, die wir heute zu bewältigen haben, erfordern, dass wir uns manchmal trauen, unserer Intuition, unserem Bauchgefühl zu folgen. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass wir in solchen Ausnahmesituationen Entscheidungen treffen müssen, wenngleich uns die notwendigen Fakten noch nicht oder nicht ausreichend verlässlich zur Verfügung stehen. 

Vor allem in der Zusammenspiel mit anderen, also in der Teamarbeit, spielen Gefühle eine ganz wesentliche Rolle. Sie können ein Indikator für das sein, was sich im Miteinander unbewusst abspielt und manchmal von außen betrachtet zu ganz schön ver-rückten Situationen führen. “Unbewusst?”, fragst Du Dich jetzt vielleicht, “hat ein Team etwa so etwas wie ein Unterbewusstsein?”

Tatsächlich hat der US-amerikanische Organisationspsychologe Edgar Schein in den 1980er Jahren das sogenannte Kulturebenen-Modell entwickelt, um die Phänomene, die in Gruppen (sprich: Teams und Organisationen) auftreten, zu erklären und einzuordnen. Du kannst Dir sein Modell wie einen Eisberg vorstellen. 

Was bedeuten diese Ebenen? Mal angenommen, Du kommst als neue Führungskraft in ein bestehendes Team oder wirst Geschäftsführer*in in einem Dir noch fremden Unternehmen. (Vielleicht liefert Dir dieses Modell mit diesem Beispiel ja auch noch ein paar neue Impulse zum Thema Onboarding 🙂 

Die oberste Ebene des Eisbergs ist für Dich deutlich sichtbar. In Dokumentationen, Strukturen, Prozessen und Ritualen verstehst Du recht schnell, wie sich das Team organisiert hat und wie es tickt. 

Schon die 2. Ebene ist von außen viel schwerer zu durchschauen. Vor allem dann, wenn es für Dich als Neuling keine Einarbeitung und kein Mentoring gibt. Aber auf dieser Ebene liegen so wichtige Dinge wie z.B. Strategien, Philosophien, Verbote, Regeln oder kollektive Werte. Wahrscheinlich entdeckst Du diese ungeschriebenen Gesetze mit der Zeit. Nicht ausgeschlossen, dass Du dabei in das ein oder andere Fettnäpfchen trittst, weil Du die unausgesprochenen und unsichtbaren Regeln einfach nicht kanntest. 

Die 3. Ebene liegt für Dich (im Übrigen auch für die meisten anderen im Team) im Verborgenen, denn hier handelt es sich um unbewusste Selbstverständlichkeiten. Die Art und Weise, wie das Team auf seine Umwelt reagiert, wird nicht hinterfragt oder diskutiert. Denn grundlegende Annahmen, Einstellungen, Glaubenssätze und Überzeugungen sind tief im Denken des Einzelnen und der Gruppe verwurzelt. Jede und jeder von uns bringt eigene Geschichten, Bewusstes und Unbewusstes mit. Das alles landet dann im Schmelztiegel Deines Teams. Du merkst, irgendwas fühlt sich komisch an. Aber bezüglich einer plausiblen Erklärung fischst Du im Trüben. Dennoch spürst Du, dass da noch irgendwas ist und genau das ist der Punkt.

Weiter angenommen, Du sollst nun in einem Projekt mit dem gesamten Führungsteam zusammenzuarbeiten, die meisten von ihnen kennst Du noch nicht wirklich. Unvoreingenommen startest Du voller Tatendrang in das erste Führungskreis-Meeting. Während Du zuhörst, merkst Du, wie Du Dich immer unwohler fühlst. Du verstehst es nicht, schiebst es auf das schwere Mittagessen. Doch schon vor dem nächsten Treffen spürst Du, wie sich Dein Magen wieder verkrampft und sich innerlich Widerstände aufbauen. Du sprichst mit einer Kollegin aus Deinem neuen Team und erfährst, dass es zwischen Deinem Vorgänger bzw. Deiner Vorgängerin und den anderen Führungskräften seit jeher Rivalitäten gibt, von denen Du nichts wusstest. Du erfährst auch, dass diese*r wegen Magenproblemen mehrfach länger erkrankt war. Ist das etwa Hokuspokus??? Im psychodynamischen Coaching spricht man hier von Übertragungsphänomenen. D.h. Du fühlst, was andere fühlen und eine vielleicht längst vergangene Konfliktsituation re-inszeniert sich.

Ich erinnere mich diesbezüglich auch an etliche Situationen in meiner eigenen Rolle als Führungskraft. Intuitiv habe ich zu einem frühen Zeitpunkt gespürt, was los ist, wo der Hase im Pfeffer liegt oder der Schuh drückt. Aber ich konnte es (noch) nicht klar benennen, geschweige denn meiner Führungskraft oder meinem Team gegenüber belegen. Aber statt mich mit meinen Gefühlen und Irritationen näher zu beschäftigen, meiner Intuition zu vertrauen und dieser noch nebulösen Spur weiter zu folgen, habe ich mich lieber auf die Fakten gestützt. Wenngleich sie unzureichend und unbefriedigend waren. Heute würde ich das anders machen.

Nena_Wir dürfen nicht nur an das glauben, was wir sehen

Unsere eigenen Gefühle, auch und insbesondere als Führungskräfte, sind ein wichtiger Impulsgeber – in das Team und aus dem Team heraus. Denn ob wir das wollen oder nicht, wie wir uns selbst fühlen überträgt sich auf unser Umfeld und damit auch auf das Team. Wenn Führungskräfte z.B. in ihrer Rolle nicht klar sind, sich kontinuierlich überfordern oder ihnen die Lust am Job fehlt, wird sich dies über kurz oder lang auch im Team zeigen. 

Andersherum übertragen sich Stimmungen und Gefühle aus dem Team natürlich ebenso auf die Führungskraft und dies ist eine echte Chance. Vorausgesetzt Du lernst und lässt zu, sie bewusster wahrzunehmen und zu deuten. Aber wie genau kann das gehen?

Stell Dir vor, Du sitzt in einem Gespräch mit einem Mitglied aus Deinem Team. Ihr sprecht über ein aktuelles Projekt. Obwohl Du völlig entspannt in dieses Gespräch gegangen bist, merkst Du, wie Du plötzlich unruhig wirst. Du rutschst auf Deinem Stuhl hin und her, kannst Dich irgendwie nicht richtig konzentrieren, wirst hektisch. Vielleicht fängst Du an, Deine Mails und Deinen Kalender auf Dinge zu checken, die Dir versehentlich durchgegangen sind. Halte inne und frage Dich: Was könnte dieses Gefühl, was ich gerade in mir wahrnehme, mit meinem Gegenüber oder unserem Gesprächsinhalt zu tun haben? Vielleicht hakst Du einmal mehr nach, wie es in dem Projekt gerade läuft, ob es Schwierigkeiten gibt und bleibst an dem Thema dran. Denk dran, Dein Gefühl trügt Dich nur selten.

Eine andere Situation: Du kommst aus einem erfolgreichen Kundengespräch, freust Dich über einen neuen Auftrag. Der nächste Termin in Deinem Kalender ist das monatliche Online-Meeting mit Deinem Team. Du betrittst den virtuellen Raum, beobachtest ein wenig das Geschehen und merkst, wie der Motivationsschub aus Deinem Kundengespräch vorher sich in Luft auflöst. Deine Stimmung sinkt. Dein Unterbewusstsein nimmt bereits wahr, dass im Team etwas nicht in Ordnung ist. Trau Dich, hier hineinzugehen und nachzuhaken!

Spannend finde ich in meinen Teamcoachings auch immer wieder die emotionalen Dynamiken, wenn es um die Projekt- bzw. Aufgabenverteilung im Team geht. Da gibt es die Themen, auf die das Team Lust hat, bei denen die Zuständigkeiten klar sind, die ohne Wenn und Aber erledigt werden. Und dann gibt es die, die ewig liegen bleiben. Allen scheint es irgendwie wichtig zu sein, dass sie einen festen Platz auf der To-Do-Liste haben, aber niemand nimmt sich der Sache an oder hinterfragt des Sinn. Nicht selten sind es leider die Dinge, die ein neues Teammitglied als erstes tun soll. Nach dem Motto: das wäre doch ein super Einstieg. Ich selbst sollte vor vielen Jahren z.B. zum Start in einem neuen Team mal eine seeehr lange liegengebliebene Liste von (k)alten Kundenkontakten anrufen. Es stellte sich heraus, einige davon waren bereits verstorben! 
Statt den Neuzugang gleich zu Beginn mit einer Aufgabe zu frustrieren, die schon vorher niemand machen wollte, lohnt es sich womöglich zu überlegen, warum diese Aufgabe für niemanden eine Anziehungskraft ausübt. Auch dieses Gefühl hat einen Grund. Weiß vielleicht niemand, was genau zu tun ist oder wie? Oder das Ganze ist einfach (jetzt) nicht (mehr) wichtig und das Team sollte das Thema besser endlich ad acta legen?

Fazit:

“Der rapide Wandel und der Diskurs um Profilierung, Deregulierung, Autonomie und Selbstorganisation löst erhebliche Ängste aus. Flache Hierarchien werden allenthalben eingeführt. In dieser Umbruchsituation wird, gezwungenermaßen und als letzte Ressource, der subjektiven Seite der Arbeit und damit seelischen Vorgängen vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt.” 
[Beate West-Leuer | Claudia Sies, Kursbuch für die psychodynamische Beratung] 

Gerade habe ich eine Fallarbeit für den Abschluss meiner Ausbildung zum psychodynamischen OE-Coach geschrieben. Dieser Prozess rund um einen schwierigen Teamkonflikt hat mir nochmal mehr vor Augen geführt, welche wertvolle Ressource unsere Gefühle im Umgang mit anderen Menschen sind. Um sie wahrzunehmen und bewusst nutzbar zu machen, braucht es Aufmerksamkeit im Hier und jetzt.  Und dann geben sie manchmal den entscheidenden Hinweis auf das, was wirklich vor sich geht und der Knoten kann sich lösen. Nicht zuletzt deshalb sind auch in das Lernspiel Ludoki TEAMS, das ich für und mit Ludoki entwickeln durfte, die emotionalen Aspekte von Teamarbeit mit eingeflossen.

Vielleicht fragst Du Dich jetzt, ob und wie das funktioniert, wenn wir uns aktuell wieder nur online begegnen? 

Als Führungskraft habe ich schon vor Corona viel mit virtuellen Teams gearbeitet. Und meine Workshops und Coachings finden derzeit hauptsächlich online statt. Nach meiner Erfahrung können wir auch telefonisch oder in Videokonferenzen viel vom Unausgesprochenen wahrnehmen. Natürlich fehlt online ein Teil der Körpersprache, in Präsenz vor allem die Maske schränkt das Spektrum stark ein. Wenn ich die Wahl habe, entscheide ich mich deshalb eher für ein Online-Gespräch, als für ein persönliches Treffen mit Maske. Dazu gab es übrigens kürzlich einen sehr spannenden Radiobeitrag im WDR)

Maske hin oder her, viel wichtiger jedoch – und das gilt vermutlich für jedes Gespräch – ist unsere Präsenz. Wenn wie vielerorts zu beobachten eine Videokonferenz die nächste jagt, sinkt unsere Aufmerksamkeitsspanne. Wir können uns nicht mehr ausreichend fokussieren, dadurch gehen die wichtigen Informationen „zwischen den Zeilen“ verloren.

Wenn Dich das Thema interessiert und Du wissen möchtest, wie Du diese Ressource in Deinem noch besser nutzen kannst, melde Dich gern bei mir.  

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