Die Corona-Restriktionen fallen, mit ihnen auch die Homeoffice-Pflicht. Die Geister scheiden sich, wie es am besten weitergehen kann. Die einen sagen: “Das Arbeiten im Homeoffice hat doch gut funktioniert und hatte für mich viele Vorteile. Es gibt für mich keinen Grund, daran etwas zu ändern.” Andere wiederum sind froh, wenn sie endlich die gewohnte Struktur und den Büroalltag wieder haben. So tüfteln Betriebsräte, Unternehmen und Anwälte an Vereinbarungen. Und unsere Regierung an einem neuen Gesetz zu Homeoffice und mobilem Arbeiten – unabhängig von der Pandemie.
Ich habe bei diesem ganzen Thema sehr ambivalente Gefühle. Zweifelsohne hat das Arbeiten im Homeoffice viele positive Aspekte. Als Mutter sehe ich hier z.B. eine deutlich bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Langfristig und im Zusammenhang mit anderen Entwicklungen unserer Zeit frage ich mich jedoch, welche Auswirkungen Homeoffice bzw. mobiles Arbeiten für unsere und folgende Generationen haben wird.
Virtuelle Welt – Fiktion oder schon Realität?
Vor einigen Jahren hat mich mein Sohn zu einem Science Fiction Film überredet. Ich hatte erst überhaupt keine Lust auf diesen Film, rückblickend jedoch bin ich ihm dankbar für seine Hartnäckigkeit. Ich habe so oft an diesen Abend denken müssen. Der Film heißt “Ready Player One” und handelt von einer Welt im Jahr 2045 (also gar nicht so weit entfernt), in der die reale Welt zu Slum-ähnlichen Städten verkommen ist und die Menschen deshalb wann immer es geht in die virtuelle Welt OASIS flüchten. Dort ist alles schön. Sie können sich als die ausgeben, die sie sein wollen und tun, was immer sie auch tun wollen.
Ich erinnere mich vor allem an den Beginn der Geschichte, in der man als Zuschauer*in auf einen Drohnenflug durch die düstere Städtelandschaft mitgenommen wird. Man sieht Menschen, die einzeln in Mini-Wohnungen hausen. Wie Kaninchenboxen. Sie tragen eine VR-Brille und gehen ihren Hobbies in der virtuellen Welt nach. Jede*r für sich. So sieht man jemanden virtuell Tennis oder Klavier spielen, mit dem Hund Gassi gehen usw. Kaum jemand verlässt noch die eigenen vier Wände, das ist weder nötig noch attraktiv.
Diese Szenen haben mich zutiefst erschüttert, weil sie schon damals nicht weit von der Realität entfernt waren. Und das war vor den rasanten technischen Entwicklungen der letzten 5 Jahre, vor Corona, vor Homeschooling, vor der Homeoffice-Pflicht.
Homeoffice – ein weiterer Baustein im virtuellen Leben
Heute, im Jahr 2022 sind Internet und virtuelle Technologie aus kaum einem Lebensbereich mehr wegzudenken. Dank Amazon und Picnic sind die Dinge des täglichen Bedarfs nur einen Klick von unserer Haustür entfernt. Statt im Fitnessstudio machen wir unser Workout per Apple Fitness oder VAHA auf der Matte im Wohnzimmer. Unseren morgendlichen Kaffee mit den Kolleg*innen trinken wir virtuell. Auch Teamevent und Onboarding im Job machen wir per Videokonferenz. Unsere Kids verabreden sich nach der Schule lieber auf Twitch & Co. als mit ihrer Peer Group draußen abzuhängen oder sie drehen nach der Schule im stillen Kämmerlein begeistert ihre TikTok-Videos.
Auch unser menschliches Bedürfnis nach Zugehörigkeit können wir super online stillen. In den sozialen Medien gibt es Freunde en mass. Man muss sich dort nur ein bisschen an die neuen Umgangsformen gewöhnen. Ist doch alles total praktisch. Warum also noch vor die Tür gehen?
Zugegeben, Zeiten ändern sich. Das haben sie immer. Und immer war Neues zunächst mit Ängsten und Skepsis verbunden. Denken wir nur an die Entwicklung der gefährlichen Dampfmaschine oder den Gehör schädigenden Walkman. Sie haben sich durchgesetzt und waren Ausgangspunkt für weitere Fortschritte.
Dennoch, das Zukunftsbild aus “Ready Player One” geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Für mich ist diese Vorstellung grauenhaft. Denn eines hat sich meines Erachtens nach in der gesamten Menschheitsgeschichte nicht geändert: unser tiefes Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Nähe. Es ist archaisch angelegt, weil wir allein in der Wildnis nicht hätten überleben können. Wilde Tiere sind zumindest in der westlichen Welt wohl nicht mehr unser Problem, doch die Angst vorm Alleinsein ist geblieben. Wir brauchen echte Begegnungen und körperliche Nähe wie die Luft zum Atmen. Studien mit Säuglingen haben gezeigt, dass ein Entzug dieser Nähe zum Tod führen kann. Dass es uns im weiteren Verlauf des Lebens nicht anders geht zeigen die kontinuierlich steigenden Selbstmordraten bei Jugendlichen und Erwachsenen.
Warum ich das Thema Homeoffice hier auf meinem Blog für Teamentwicklung thematisiere?
Vor allem, weil ich in meiner Arbeit mit Teams jeden Tag sehe, wieviel „WIR“ verloren gegangen ist. Und wie groß das Bedürfnis nach persönlicher Begegnung und Zusammengehörigkeit nach zwei Jahren ist. Christian Glinkemann, Geschäftsführer einer Eventagentur, erzählte mir erst gestern, dass er noch nie so viele Anfragen für Teamevents hatte wie aktuell.
Unsere Regierung will ein neues Gesetz zu Homeoffice und mobilem Arbeiten auf den Weg bringen. Und sieht dabei m.E. oft nur die positiven und kurzfristigen Auswirkungen. Im Moment stellen wir in Politik und auch in den Betrieben Fragen wie “Zwei oder fünf Tage Homeoffice?”, “Wie gewährleisten wir den Arbeitsschutz zu Hause?”, “Muss dann jeder Mitarbeitende einen PC zu Hause haben?” Und machen uns zu wenig bewusst, dass wir hier ein Gesetz gestalten, was unser Leben und Arbeiten auch für nachfolgende Generationen nachhaltig verändern wird. Mir ist wichtig, dass das nicht einfach mit uns passiert, sondern wir uns jetzt neben den ökonomischen auch intensiv mit den sozialpsychologischen Fragen beschäftigen. Was bedeutet dieser Schritt für uns als soziale Wesen? Wie verändert es uns, beeinflusst unser Miteinander und unsere ganze Art zu leben? Und schließlich: wollen wir das so oder wollen wir es anders?
Bitte Homeoffice nicht nur, weil es alle anderen auch machen
Ich arbeite derzeit mit einem Kunden, der mich nochmal sehr stark für dieses Thema und auch die Verantwortung seitens der Unternehmen sensibilisiert hat. Trotzdem viele Mitarbeiter*innen dieses Kunden sich nach Corona mehr Homeoffice-Zeiten gewünscht haben, fährt er eine sehr klare Linie mit engen Grenzen. Mit dem Bewusstsein, dass er deshalb Mitarbeiter*innen verlieren kann.
Seine Argumente finde ich sehr nachvollziehbar:
- Wir sehen die individuellen Menschen hier bei uns. Wir wollen uns mit ihnen und sie sollen sich mit uns verbunden fühlen. Und dieses Gefühl ist schwer herzustellen, wenn wir uns nicht regelmäßig auch persönlich sehen.
- Ich trage Verantwortung für mein Team und ihre Familien. Und auch ein Stück dafür, dass alle gesund bleiben. Dazu gehört, dass es eine klare Grenze zwischen Arbeit und Freizeit gibt.
- Wir wollen uns als Team erleben, voneinander lernen, uns gemeinsam weiterentwickeln und gemeinsam erfolgreich sein. Dazu brauchen wir den persönlichen Austausch, der sich ja nicht nur auf Worte und Mimik beschränkt.
- Wir wollen eine faire Lösung für alle und wir haben hier eben auch Jobs, bei denen es aus logistischen Gründen kein Homeoffice geben kann.
Auch solche Beispiele gibt es dieser Tage. Sie zeigen, dass – solange kein Gesetz kommt, der durch Corona eingeschlagene Weg nicht genau so weitergegangen werden MUSS, nur weil alle es so machen. Oder weil die Angst verbreitet wird, die guten Fachkräfte wandern ab, wenn das Unternehmen keine maximal flexiblen Arbeitszeiten und -orte schafft. Dabei zeigen Gallup und andere renommierte Studien seit Jahren deutlich, dass die hohe Wechselbereitschaft ihre Ursachen vor allem im Bereich Führung und Unternehmenskultur hat. Und in den ganz aktuellen Zahlen auch, dass die Homeoffice-Zeit eher zu mehr Stress und Burnout-Gefahr geführt hat, als dass sie uns das Leben erleichtert hätte.
Mein Fazit
Ja, ich bin ein großer Fan von Flexibilität und neuen Arbeitsformen – da wo es sinnvoll ist. Das können die Unternehmen und ihre Mitarbeitenden wahrscheinlich selbst am allerbesten beurteilen. Ich bin auch ein Verfechter von neuen Technologien, wenn sie uns Menschen für Wohlergehen und Fortbestand nutzt. Ich sage lediglich: Lasst uns bei aller Euphorie für das Neue nicht aus dem Blick verlieren, was uns als Menschen ausmacht und was wir WIRKLICH brauchen, damit es uns gut geht.
Mit den Lösungen die wir heute auf den Weg bringen, gestalten wir die Zukunft unserer Kinder. Für sie wünsche ich mir von ganzem Herzen ein “Gemeinsam statt einsam”.